Schreibweise und Aussprache

Trotz zahlreicher Anpassungen im Laufe der Jahrhunderte hat die Oberengadiner Schriftsprache bis heute zahlreiche altertümliche Züge erhalten, was ihre Aussprache schwieriger gestaltet als die der vier anderen traditionellen Schriftidiome Romanischbündens. Hervorzuheben ist zum Beispiel die Aussprache der Buchstabenverbindung -aun- als “än” vor Konsonant bzw. sogar “äm” vor Vokal und am Wortende. Der romanische Ortsname Silvaplauna (dt. Silvaplana) wird deshalb ausgesprochen wie “Silvapläma”.
Eine andere Besonderheit der oberengadinischen Rechtschreibung betrifft die Endung -ieu, die sich anhört wie “ia” (mit betontem i und ganz kurzem a). Aufgrund dieser und anderer Regeln ergibt das romanische Bainvgnieu (dt. willkommen) in der Aussprache “bäjnfnjía”, Vstieu (dt. Kleid) klingt wie “Schtía” (ohne v!).

Sgraffito auf einer Hausfassade in Samedan, übersetzt: Der Mensch ohne Liebe ist wie eine Wiese ohne Blume

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Wegweiser in Zuoz mit Beispielen des Tetragraphen «s-ch»

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Auch die Oberengadiner Ortsnamen halten für Anderssprachige einige Überraschungen bereit: Da ein -g am Wortende meist ausgesprochen wird wie “tj” im hochdeutschen “tja” (oder bei ungenauer Aussprache einfach wie dt. “tsch”), hört sich das Seitental von Pontresina/Puntraschigna eher an wie Rosetsch, obwohl Roseg geschrieben wird.

In mehreren Ortsnamen sticht auch die Buchstabenkombination “s-ch” hervor, so z. B. in S-chanf, Cinuos-chel oder Chamues-ch. Die Aussprache entspricht der Kombination von dt. “sch” mit dem vorher erwähnten “tj”, also “sch-tj” oder (ungenauer) “sch-tsch” (IPA: /ʃtɕ/).

Der Bindestrich ist unerlässlich, um eine Verwechslung mit einfachem “sch” zu vermeiden. Die erwähnten Beispiele lauten daher ungefähr: “Schtjanf”, “Tsinúoschtjel”, “Tjamuéschtj”. Diese Regel gilt nicht nur für das Oberengadinische, sondern für das Ladin im Allgemeinen.

Eine leicht zu hörende Besonderheit des Puter gegenüber den anderen Idiomen ist die häufige Ersetzung von langem a durch langes e (in diesem Fall wird das e auch geschrieben). Während es im Unterengadin und meist auch im übrigen Romanischbünden heisst: chasa (Haus), Banca Chantunala (Kantonalbank), dumandar (fragen), ala (Flügel), so sagen die Oberengadiner durchwegs chesa, Banca Chantunela, dumander, ela (jeweils mit langem, betontem e).